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Nachehelicher Unterhalt: Neue Kriterien, mehr Eigenverantwortung

Die Scheidung ist vollzogen, doch was passiert danach? Der nacheheliche Unterhalt sorgt in der Schweiz immer wieder für heftige Diskussionen und Unsicherheit. Wer muss zahlen? Wer hat Anspruch? Und wie lange? Mit dem jüngsten Bundesgerichtsentscheid hat das Bundesgericht die Kriterien weiter konkretisiert. Eigenverantwortung wird grossgeschrieben, doch es gibt Ausnahmen. In diesem Beitrag erfahren Sie, welche neuen Regeln gelten und was diese für ein geschiedenes Ehepaar bedeuten.




Was ist nachehelicher Unterhalt?


Nachehelicher Unterhalt ist die finanzielle Unterstützung, die eine Person nach der Scheidung von der anderen verlangen kann, sofern gewisse Kriterien erfüllt sind. Ziel des nachehelichen Unterhalts ist es, der unterhaltsberechtigten Person eine angemessene Lebensführung zu ermöglichen, insbesondere wenn diese während der Ehe auf eigene Einkünfte verzichtet hat, um beispielsweise die Familie zu unterstützen oder den Haushalt zu führen.



Habe ich Anspruch auf nachehelichen Unterhalt?

Das Bundesgericht hat in den letzten Jahren den Grundsatz immer wieder betont, dass der Anspruch auf nachehelichen Unterhalt eine Ausnahme bleiben soll. Eheleute sollen nach der Scheidung so schnell wie möglich finanziell unabhängig voneinander werden. Anhand der folgenden Kriterien kann laut Artikel 125 ZGB aber festgelegt werden, dass ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt gerechtfertigt ist.


  • Dauer der Ehe:

    Je länger die Ehe gedauert hat, desto wahrscheinlicher ist eine Unterhaltsverpflichtung. Eine kurze Ehe von wenigen Jahren wird in der Regel keinen langfristigen Unterhaltsanspruch begründen.

  • Rollenverteilung während der Ehe:

    Wenn eine Person während der Ehe den Haushalt geführt und/oder die Kinder betreut hat und dadurch auf eine eigene Erwerbstätigkeit verzichten musste, besteht ein höheres Risiko, dass diese Person nach der Scheidung wirtschaftlich benachteiligt ist. Man spricht hierbei von einer lebensprägenden Ehe. In diesen Fällen kann ein Unterhaltsanspruch begründet sein, um diese Benachteiligung auszugleichen.

  • Betreuungsbedarf der Kinder:

    Falls gemeinsame Kinder noch betreut werden müssen und die betreuende Person deshalb nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig sein kann, kann dies zu einem Unterhaltsanspruch führen.

  • Gesundheitszustand und Alter:

    Auch das Alter und der Gesundheitszustand der unterhaltsberechtigten Person spielen eine Rolle. Ein höheres Alter oder gesundheitliche Einschränkungen können die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern.

  • Wirtschaftlichen Verhältnisse:

    Da bei einer Ehe meist das wirtschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Parteien unterschiedlich ist, müssen diese bei einer Scheidung verglichen und abgewogen werden. Wenn die unterhaltspflichtige Partei durch die während der Ehe praktizierte Arbeitsteilung ihre Erwerbskraft steigern konnte, könnte dies eine Verlängerung des Unterhaltsanspruch rechtfertigen.



Bedeutung des jüngsten Bundesgerichtsentscheids


Im Urteil 5A_801/2022 vom 10. Mai 2024 wird die Befristung des nachehelichen Unterhalts besprochen. Dieser Fall handelt von einem geschiedenen Ehepaar mit einem gemeinsamen Sohn. Die Frau fordert bis zu ihrer Pensionierung nachehelichen Unterhalt. Nach 15 Jahren Erwerbstätigkeit in der kaufmännischen Branche hat sie aufgrund der Kinderbetreuung ihre Tätigkeit aufgegeben. Während der 7-jährigen Ehe und nach 6 Jahren Trennung hat sie den Wiedereinstieg nicht gewagt. Aufgrund der oben genannten Kriterien erschien es bereits dem kantonalen Gericht als unverhältnismässig, die Befristung bis zur Pensionierung anzusetzen. Zwar bestätigt das Bundesgericht, dass die Ehe der Parteien aus der Perspektive der Beschwerdeführerin als lebensprägend zu qualifizieren ist, aber die Dauer der Ehe von sieben Jahren begründet gleichzeitig auch eine zeitliche Begrenzung. Zudem stellt das Bundesgericht klar, dass Kinderbetreuungsaufgaben gemäss des Schulstufenmodells, sobald das jüngste gemeinsame Kind 16 Jahre alt ist, entfallen.


Das Urteil schafft mehr Klarheit für die zeitliche Begrenzung des nachehelichen Unterhalts. Insbesondere für Frauen, die während der Ehe überwiegend den Haushalt geführt, oder Kinder betreut haben. Bemerkenswert ist die Bestätigung der Unterscheidung zwischen nachehelichem Unterhalt und Betreuungsunterhalt. Das Gericht betonte, dass beide Unterhaltsformen unterschiedliche Ziele verfolgen. Während der nacheheliche Unterhalt darauf abzielt, den Lebensstandard der Ehezeit zu sichern, bezieht sich der Betreuungsunterhalt auf das Existenzminimum und deckt nur teilweise die Nachteile ab, die durch die Kinderbetreuung entstehen. Demnach unterstehen Frauen nach der Scheidung trotzdem einer verstärkte Erwerbsobliegenheit und sollten so schnell wie möglich finanziell auf eigenen Beinen stehen. Die Botschaft ist also klar: Eigenverantwortung und wirtschaftliche Unabhängigkeit stehen im Vordergrund.



Fazit


Unabhängig davon, wie Sie die jüngsten Entwicklungen sehen, bleibt der nacheheliche Unterhalt ein hochkomplexes und individuelles Thema. Jede Situation ist einzigartig und eine fundierte rechtliche Beratung kann entscheidend sein, um Ihre Ansprüche und Möglichkeiten klar zu verstehen. Wenn Sie Ihre spezifische Situation bestmöglich klären möchten, stehe ich Ihnen gerne für einen Beratungstermin zur Verfügung. 

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